Die Via Baltica – Von Otterstedt nach Lilienthal

Die Via Baltica – Von Otterstedt nach Lilienthal

Schon beim ersten Blick nach draußen sehe ich: Heute gibt es besseres Wetter.

Ich hefte die noch feuchte Wäsche an meinen Rucksack und hoffe, dass es keinen Regen geben wird. Es ist frisch geworden und windig. Wenn ich mich nicht bewege, wird es mir schnell zu kalt.

Irgendwie fühlt sich mein Rucksack heute leichter an. Habe ich etwas vergessen? Ich gehe in Gedanken durch, was ich eben in den Rucksack gepackt habe und bin der Meinung, dass nichts fehlt. Ich habe ihn vor dem Losgehen aber auch noch einmal neu eingestellt. Vielleicht liegt es daran.

Mein Frühstück will ich mir in Ottersberg holen und essen. Das liegt nur gut 4 km weiter.

Es ist so still. Nur das Rauschen des Windes ist in den Bäumen zu hören. Ab und zu höre ich einen Vogel singen, aber meistens ist es still.
Immer wieder rufe ich mir in Erinnerung, dass heute der letzte, richtige Wandertag ist, damit ich ihn auch richtig genieße.

Durch die frische Luft und den Wind fängt meine Nase an zu laufen. Ich habe kein Taschentuch. Zwar habe ich in den Tiefen meines Rucksacks eine Rolle Toilettenpapier, aber der Rucksack ist gerade so bequem auf dem Rücken, dass ich ihn nicht abnehmen möchte.
Also putze ich mir die Nase so, wie man es draußen nun mal macht. Ich trete an den Seitenstreifen, halte ein Nasenloch zu und atme dann mit Schwung durch das andere Nasenloch aus. Volltreffer! Der Rotz hängt nun auf meiner linken Schuhspitze. Ich lasse Arme und Schultern herunter fallen, lege den Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken und kann nicht anders als lachen. Mit ein paar Schritten durchs nasse Gras ist das Malheur auch schnell wieder behoben.

Kurz vorm Ortskern in Ottersberg macht der Jakobsweg einen Schlenker und führt mich weiter in Richtung Fischerhude. Ich schaue nochmal in Richtung Ottersberg und stelle fest, dass der Ort und ein Supermarkt noch einige hundert Meter entfernt liegen müssen, wenn nicht sogar noch mehr, denn ich sehe kein Geschäft. Nur für’s Frühstück möchte ich den Umweg nicht machen. Also beschließe ich die Nudeln von gestern nachher als spätes Frühstück zu essen.

Der Weg ist von Margeriten gesäumt und der Wind wird immer stärker. Die Wäsche an meinen Rucksack verhält sich wie ein Fallschirm und zieht den Rucksack in alle Richtungen.

Kurz vor Fischerhude komme ich an einer Bank vorbei und beschließe eine Pause zu machen. Ich hole die Nudeln aus dem Rucksack und stecke die nur noch klamme Hose hinein. Diese Socken und der BH müssen aber noch am Rucksack bleiben.
Die Bank steht im Schatten und daher wird mir schnell kalt. Also nichts wie weiter!

Der Ort Fischerhude ist total schön. Nun kommt auch die Sonne mehr und mehr heraus und wärmt mich.

Ich gehe weiter immer an Feldern entlang. Dann komme ich an eine Stelle an der zwei gelbe Pfeile stehen. Einer führt an der Straße entlang, der andere durch einen Wald. Ich schaue auf der Karte nach und sehe, dass die beiden Wege sich 2 km weiter wieder treffen und entscheide mich für den Waldweg. Das ist definitiv die schönere Strecke. Die Vögel zwitschern und es duftet nach Kiefern.
An den ganz dicht bewachsenen Stellen halte ich meinen Stock wie ein Schwert vor mich, um Spinnweben mit diesem einzusammeln statt mit meinem Gesicht. Dann komme ich wieder auf den gewohnten Weg. Danke demjenigen, der diese Alternative ausgeschildert hat und so für etwas Abwechslung gesorgt hat.

Dann fangen meine Füße wieder an zu schmerzen. Ich brauche eine Pause und hoffe auf eine Parkbank in der Nähe. Statt einer Parkbank sehe ich schon von Weitem eine Gaststätte mit etlichen Aufstellern vor der Tür.
Ich träume von Salat und Pommes und freue mich schon. Dann erreiche ich die Gaststätte und lese auf einem der Aufsteller, dass Montag Ruhetag ist. Na toll! Enttäuscht gehe ich weiter und entdecke 200 Meter weiter eine Bank auf der ich Pause machen kann. Es wurde auch Zeit!

Ich merke, dass ich in der Nähe einer Großstadt bin, denn das mobile Netz ist wieder deutlich besser.
Ich schaue nach, wo ich heute Mittag und heute Abend essen gehen kann. Beim Blick auf die Karte stelle ich fest, dass ich genau auf der Grenze Niedersachsen und Bremen sitze.
Nach einer gefühlt ewigen Recherche entscheide ich mich für ein Restaurant, das auf dem Weg zu meiner Unterkunft liegt und für Hummus mit Brot für heute Abend.
Eine Stunde muss ich noch weitergehen, um zum Restaurant zu kommen. Die Stunde vergeht natürlich sehr langsam. Die Strecke ist allerdings auch nicht wirklich schön. Ich gehe die ganze Zeit an einer Straße entlang, auf der Tempolimit 30 gilt. Daran hält sich nur eine Fahrerin, die sogar mit großem Abstand zu mir anhält, den Gegenverkehr durchlässt, um dann mit großem seitlichen Abstand langsam an mir vorbei zu fahren. Ich bedanke mich bei ihr für dieses vorbildliche Verhalten mit einem Handzeichen. Der Rest der Autofahrer scheint es furchtbar eilig zu haben und ist mehr oder weniger rücksichtslos.

Als ich im Restaurant Boccia ankomme, ist es brechend voll. Ich stehe mit meinem Rucksack auf dem Rücken, dreckigen Schuhen an den Füßen, verschwitzt und mit Hut auf dem Kopf im Türrahmen und ziehe etliche Blicke auf mich. Fast alle Gäste im Restaurant sind furchtbar schick angezogen. Die Herren in Anzügen und die Damen in Röcken, Kleidern oder Stoffhosen. Aufgrund der gedeckten Farben vermute ich, dass ich gerade in einen Leichenschmaus hereingeplatzt bin. Im Laufe meines Aufenthaltes bestätigt sich diese Vermutung.
Der Kellner bietet mir einen Tisch im hinteren Bereich an und bringt mir die Karte. Diese hatte ich natürlich schon auf der Bank an der Ländergrenze studiert. Ich nehme den Salat mit gebratenen Champignons und eine Portion Pommes Frites. Beides schmeckt fantastisch. Gott sei Dank, denn schlechte Pommes kann ich nur schwer ertragen. Am liebsten mag ich die dicken holländischen Fritten. Da brauche ich dann nicht mal eine Sauce dazu. Was gar nicht geht, sind dünne, weiße, labbrige Stäbchen. ?

Vom Restaurant brauche ich noch weitere 18 Minuten bis zur Unterkunft. Auf dem Weg komme ich an einem Edeka vorbei und kaufe Hummus, Brot und etwas Gemüse für heute Abend.

Als ich in der Unterkunft ankomme, gehe ich als erstes duschen. Dann wasche ich meine Wäsche und bezahle mein Zimmer, denn auch morgen geht es für mich zeitig los, obwohl ich nur gut 2 1/2 Stunden vor mir habe. Ich will mir Bremen ein bisschen anschauen. In Hamburg habe ich mir die Zeit nicht genommen. Vielleicht weil ich dort auf der Durchreise war und es mir zu groß war? Immerhin bin ich drei Tage durch das Hamburger Stadtgebiet gelaufen.

Obwohl es schon halb sechs ist, muss ich ein Nickerchen machen, um nicht vom Stuhl zu fallen.

Als ich nach einer Stunde den Wecker höre, brauche ich eine Weile um wach zu werden. Ich esse mein Abendessen, sortiere Bilder und schreibe den heutigen Bericht.
Auf dem Tisch liegt eine Broschüre zur Unterkunft, die „Grünes Haus“ heißt. Nicht nur die Farbe der Fassade gibt dem Haus den Namen, sondern sein umweltfreundliches Niedrigenergiehauskonzept. Es wird komplett durch nachhaltige Energie versorgt und eine Frischluftanlage sorgt für frische Luft in den Räumen ohne die Fenster öffnen zu müssen und so Wärme zu verlieren.
Ich bin ganz angetan von der Broschüre. Hier wurde wirklich an alles gedacht: Ausflugsziele mit Kartenmaterial, Hinweise zum Aufenthalt, Einladung zur Kontaktaufnahme mit den Eigentümern im Erdgeschoss, Notrufnummern von Ärzten und die Bedienungsanleitungen von Wecker und Fernseher.
Ich bin schwer beeindruckt!

Hinter der Tür steht ein Wasserkocher und daneben eine Schatulle mit allerlei Schätzen wie Tee, Kaffee und heißer Schokolade (ohhh, wie gerne hätte ich nachher eine heiße Schokolade…). Plötzlich kommt mir ein Geistesblitz. Ich habe doch als Nachtisch eben den Alpro Schoko-Drink gekauft und die Schatulle steht auf einer Mikrowelle… Juhuuuuu!!!

Insgesamt eine ganz tolle Unterkunft, super durchdacht und mit viel Herzblut realisiert.

Bald gehe ich schlafen, denn ich bin schon wieder müde. Morgen ist der letzte Tag meiner Pilgerreise, ich freue mich schon darauf am Ziel anzukommen und die Reise geschafft zu haben!

Alles Liebe

Rina

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