Mein Jakobsweg – Von Foncebadón nach Ponferrada

Mein Jakobsweg – Von Foncebadón nach Ponferrada

Morgens früh gibt es in der gemütlichen Albergue Monte Irago ein untypisch ausgiebiges Frühstück für die Anderen. Sandra bekommt endlich ihr Müsli mit Joghurt und die meisten stürzen sich auf Brot und Nutella. Diese Stärkung brauchen wir auch, denn es ist kalt draußen. Es sind nur 4° C, es nieselt und es ist sehr, sehr windig.

Ich ziehe also alle meine Kleidungsstücke übereinander, schlinge mir mein Halstuch halb als Schal, halb als Mütze um den Kopf und ziehe die Kapuze darüber tief ins Gesicht. Mein Knie ist heute morgen minimal besser, aber bei der Tour, die uns heute erwartet, wird es über den Tag eine echte Herausforderung die steinigen Wege herabzugehen. Vor allem bei diesem Wetter. Die ersten zwei Kilometer zum Cruz de Ferro sind schnell gelaufen, es geht immer bergauf. Eine tolle Aussicht, wie im Reiseführer beschrieben, habe ich nicht. Ich gehe eine Meter Richtung Kreuz und lege dann meinen von zu Hause mitgebrachten Stein zusammen mit meiner Ängstlichkeit und meinen Schmerzen ab (die Hoffnung stirbt ja bekanntermaßen zuletzt).

Im weiteren Verlauf geht es dann kilometerweit immer mal wieder bergauf und bergab. Ich komme an einem Bretterverschlag vorbei, der mit ein paar Folien dem Wind ein bisschen trotzen kann. Außen sind Holzbretter als Wegweiser angebracht, auf denen die unterschiedlichsten Ziele stehen, unter anderem auch „Südpfalz“. Meine Beine sind so eiskalt und die Hose durchnässt, sodass ich hinein gehe. Der Mensch, der dort mit zig Hunden und Katzen zu leben scheint, verkauft Kaffee und Halsketten mit handgeschnitzten Kreuzen. Ich frage ihn, ‚ob ich die Toilette benutzen dürfe‘. Seine Antwort verstehe ich nicht, denn er spricht nur spanisch. Dann aber scheint er sich an das Wort ‚Forest‘ zu erinnern. Mhh. Ich will eigentlich nur meine Skiunterhose unter meine Hose ziehen, um meine Beine vor dem Erfrieren zu retten. Also sage ich ihm, dass ich mich einfach hier umziehen werde, wenn das ok für ihn sei. Ich glaube, er versteht mich nicht, nickt aber. Also beginne ich mich zu entkleiden und als er versteht, was ich da tue, geht er vor die Tür. Er steckt nochmal den Kopf herein und sagt: „Ah, más protección, more protection!“ Ich nicke und sage: „Si. Because it’s so cold today.“ Er fragt, ob ich einen Kaffee möchte, aber ich lehne dankend ab. Ich schnalle mir den Rucksack wieder auf, drücke ihm einen Euro in die Hand und verabschiede mich. „Buen Camino!“ ruft er mir noch hinterher, als ich wieder in den windigen Regen verschwinde.

Irgendwo scheine ich eine Abzweigung zu verpassen, denn ich laufe ein Stück an der Straße entlang, das scheinbar nicht enden will. Einen Kilometerstein habe ich vor einer gefühlten Ewigkeit gesehen. 35 stand darauf. Jetzt, gefühlt eine Stunde später, sehe ich die 36. Das kann nicht sein! Ich drehe mich um und sehe die Anderen neben der Straße auf dem Camino laufen. Ich krabble die Böschung hoch und bin wieder auf dem steinigen Camino. Mittlerweile sind wir ganz oben angekommen, aber leider ist es auch meinem Handy zu kalt. Trotz halbvollem Akku, geht es aus und lässt sich auch erst nach ein bisschen Wärme im nächsten Dorf wieder einschalten. So kann ich den Blick auf die auf der einen im Nebel verschwindenden Berge und auf der anderen Seite erleuchtenden Berge von der scheinenden Sonne nur in meinem Kopf festhalten. Die Sonne werden wir heute nicht erreichen, dafür ist es zu weit weg. Aber im nächsten Dorf soll es schon wärmer sein, so um die 15° C.

Bis wir aber dort sind, müssen wir noch den gesamten Berg herabgehen. Mein Knie tut jetzt schon höllisch weh und ich bereue fast, es mit einem Verband umwickelt zu haben. Dieser hat sich nämlich mittlerweile verschoben und schneidet mir ins Bein. Die Anderen haben mich bereits nach ein paar Minuten wieder abgehängt, ich bin heute einfach nicht so schnell. Aber Sandra holt mich ein und wir meistern den Abstieg ein Stück gemeinsam. Am Schluss kann ich aber auch nicht mir ihr mithalten. Ich versuche schneller zu sein, das treibt mir aber die Tränen in die Augen. Ich gebe mich meinen Gefühlen hin und weine ein bisschen, während ich weiter, tapfer herabsteige.

Unten im Dorf angekommen, empfängt Sandra mich mit einem Strahlen und sagt:“Du hast es geschafft!“ Auch in dem Café, in dem wir uns alle wiedertreffen, nimmt mich Kathi in den Arm und beglückwünscht mich zu meinen Erfolg. Wir haben schon 12 km geschafft. Das hätte ich nicht gedacht und bin erleichtert, dass es fast schon die Hälfte der Etappe ist.

Als ich mir einen Tee kaufen will, zerschmeiße ich mein Fläschchen Sedaselect, das ich gegen die Aufregung vor dem Flug und an den ersten 3 Tagen morgens genommen habe. Sandra sagt, dass sei deshalb passiert, weil ich es jetzt nicht mehr brauche. Und tatsächlich hatte ich es an diesem Morgen nicht genommen. Ob ich aber so entspannt vor dem Rückflug bin, werde ich sehen.

Nach der Pause laufen Sandra und ich den Rest der Etappe bis zum Schluss gemeinsam. Wir quatschen wieder viel und die Zeit vergeht sehr schnell. Zwischendurch machen wir nur eine Pause und essen eine Kleinigkeit. Dort treffen wir eine Gruppe deutsche Rentner, die den Camino mit einer Bustour bereisen und dann an verschiedenen Stationen pausieren und sich die Sehenswürdigkeiten anschauen. Wie jeden Tag sind aber die letzten Kilometer immer die schlimmsten und ich merke wie sich in meinem linken Bein die Achillessehne meldet. Nach einer weiteren halben Stunde sind wir gegen 16 Uhr endlich an der Herberge und sehen, wie die Busreisegruppe sich auf den Weg in die Stadt macht. So spät wie heute waren wir noch nie am Ziel. Ein Blick auf meinen Schrittzähler verrät mir, dass der Weg an der Straße entlang eine deutlich längere Strecke für mich bedeutete. Während die Anderen 27 km gegangen sind, habe ich 29 km an diesem Tag geschafft.

[cml_media_alt id='6790']Foncebadón -> Ponferrada[/cml_media_alt]

Am Abend wird mein Insektenstich, den ich mir vor zwei Tagen zugezogen habe, immer dicker. Ich gehe also nach dem Supermarkt nochmal zu Apotheke und zeige der Apothekerin meinen Arm, der auf der Hälfte stark angeschwollen, rot und heiß ist. Sie legt mir Fenistil hin. Das habe ich schon seit zwei Tagen verwendet, aber es verschlimmert sich, versuche ich ihr klar zu machen. Sie versteht mich nicht. Eine Pilgerin hinter mir meint, ich solle eine Cortisoncreme benutzen, also kaufe ich diese. Einer der Hospitaleros in der Albergue meint, es könne auch ein Spinnenbiss sein und ich solle einen Entzündungshemmer nehmen. Ich wollte vor dem Schlafen sowieso eine Ibu nehmen, von daher passt das.

Den Rest des Abends teilen wir uns alle zusammen noch eine Runde in der Waschmaschine und im Trockner und essen Couscous mit Gemüse in Sojasahne. Sam hat den Hospitalero nach Pfeffer gefragt und ihm eine wenig Cayenne abgeschwatzt. Als wir probieren sind wir begeistert. Sam sagt: “ I used some Cayenne to surprise you girls“. Man muss ihn einfach lieben…

Morgen wird es nicht so anstrengend. Es stehen 25 km an, die auf deutlich weniger Höhenmeter verteilt sind.

Gute Nacht und bis morgen!

Alles Liebe

Rina

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